Scrum für non-IT-Teams
veröffentlicht am
4.8.2023

Scrum für non-IT-Teams

Scrum, ursprünglich als agiles Arbeiten für Softwareentwicklung konzipiert, hat in den letzten Jahren auch außerhalb der IT-Branche an Popularität für die digitale Transformation von vielen Unternehmen gewonnen.

Unser Experte Daniel Mainka (Director Marketing & Communications, Brockhaus) bringt umfangreiche Erfahrung mit, wie Scrum erfolgreich auf Non-IT-Teams angewendet werden kann und welche Herausforderungen dabei auftreten können.

In diesem Interview werden wir seine Einblicke und  Empfehlungen für die Anwendung von Scrum für das agile Arbeiten in Non-IT-Teams kennenlernen.

Welche Vorteile bietet Scrum für Non-IT-Teams im Vergleich zu traditionellen Arbeitsmethoden?

Es gibt für Non-IT Teams zahlreiche Gründe, sich mit agilen Arbeitsmethoden und Rahmenwerken auseinanderzusetzen. Für Marketing-Abteilungen ist es zum Beispiel entscheidend geworden, sich wandelnden Märkten, aber auch technischen Rahmenbedingungen rasch anpassen zu können.

Nehmen wir zum Beispiel Googles bekanntestes Produkt und einer der wichtigsten Kanäle für das Marketing: die Google Suche. Allein im Jahr 2021 mussten sich Marketing-Spezialisten mit 4.366 „Launches“ also Änderungen am Algorithmus auseinandersetzen. Nicht jeder davon hatte große Auswirkungen, jedoch zeigt dieses Beispiel, wie volatil allein ein einzelner Kanal sein kann.

Was gestern noch gut funktioniert hat, kann morgen schon überholt sein. Ein anderes Beispiel: Für Vertriebsabteilungen kann schon eine Pressemitteilung des Konkurrenten Anlass sein, seine eigene Kommunikation umzustellen.

Eine Organisation zu haben, die auf derart schnelle Änderungen eingestellt ist und darauf reagieren kann, besitzt einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil. Und genau das ist agil: Mit Wandel rechnen und ihn sogar begrüßen.

Welche spezifischen Herausforderungen können Non-IT-Teams bei der Einführung von Scrum haben und wie können sie diese bewältigen?

Ganz allgemein kann die Einführung agiler Methoden für ein Team ein kritischer Moment sein. Wandel und Veränderungen sind für einzelne Teammitglieder zum Teil schmerzhafte Prozesse.

Entscheidend für mich ist dabei, dass die Teams und ihre Mitglieder selbst in der Auswahl geeigneter Methoden involviert sind, und diese nicht von oben nach unten eingeführt werden.

Letzteres kann ansonsten zu einer Abwehrhaltung und Ablehnung führen.

Der Grundsatz agiler Methoden zu testen, zu überprüfen und anzupassen gilt dabei auch in der Auswahl der Methodik selbst. Das Team soll ausprobieren, welche Methodik am besten zum Team, aber auch zu den speziellen Herausforderungen ihres Unternehmens passt.

Eine Sorge, die ich im Speziellen von Marketing-KollegInnen höre, wenn sie an Scrum denken, ist folgende. „All diese neuen Rollen, Events und Regeln – wo ist da der kreative Freiraum?“ Es ist richtig, Scrum gibt die genannten Punkte durchaus rigoros vor.

Trotzdem versteht sich Scrum als eher flexibles Rahmenwerk, das zum Beispiel auch die Integration anderer (auch agiler) Methoden zulässt. Brainstormings gehören dabei zum festen Bestandteil unserer Sprints.

Moderationstechniken wie Liberating Structures helfen wiederum, die Kreativität und das Potenzial der Teammitglieder freizusetzen, indem sie eine Struktur für die Beteiligung bieten.

Herausforderungen bewältigen

Scrum vs. Kanban - was würdest du empfehlen und warum?

Scrum, Kanban oder auch Scrumban. Alle Methodiken haben ihre eigenen Vor- und Nachteile.

Welche am besten geeignet ist, hängt im Wesentlichen vom Team und seinen Mitgliedern selbst ab, vom Reifegrad des Teams und des Unternehmens sowie der Komplexität der Aufgaben. Ein Marketing-Team eines jungen Start-ups mit wenigen Routine-Aufgaben wird wohl eher einen iterativen Ansatz wählen.

Es möchte innerhalb kurzer Zeit verschiedene Botschaften, Kanäle und Creatives testen. So kann es das Risiko minimieren, indem es nicht zu viele Ressourcen in eine Einzelmaßnahme steckt.

Ganz entscheidend für diese Teams ist dabei Kundenfeedback, das sie nicht nur zur Optimierung von Marketingaktivitäten nutzen, sondern zur Weiterentwicklung der Produkte selbst an die Fachabteilungen weiterleiten. Für ein solches Team bietet sich Scrum an.

Für Teams, die hingegen standardisierte Aufgaben erledigen müssen, eignet sich eher Kanban, auch wegen seiner leichteren Umsetzbarkeit: Bei Kanban müssen im Gegensatz zu Scrum keine Rollen festgelegt oder neue Meeting-Formate etabliert werden.

Es kann sehr niedrigschwellig eingeführt werden. Das vermeidet Ängste und Unsicherheiten im Team. Wir selbst arbeiten mit einem hybriden Modell aus Scrum und Kanban, das uns erlaubt, sowohl Routineaufgaben, die keinen iterativen Ansatz benötigen, als auch umfangreiche Testreihen im selben Team zu planen und umzusetzen.

Welche Anpassungen oder Modifikationen sind erforderlich, um das Scrum-Framework effektiv auf Non-IT-Teams anzuwenden?

Generell gilt: Das Scrum-Rahmenwerk ist unveränderlich. Es ist zwar möglich, nur Teile von Scrum zu implementieren, aber das Ergebnis ist nicht Scrum. Das hört sich wieder sehr streng und nach vielen Regeln an.

Dabei ist das Rahmenwerk sehr lose formuliert und lässt zum Beispiel die Integration anderer Methoden bewusst zu. Es dient dabei als sogenannte Container Methode für andere agile Methoden. Unser Ziel als Team war es jedoch, jederzeit so nah wie möglich am Rahmenwerk zu bleiben.

Immer ist uns dies nicht gelungen - wie gesagt bevorzugen wir ein hybrides Modell aus Scrum und Kanban -, aber da, wo wir in der Umsetzung von Scrum auf Probleme stießen, ist etwas ganz Bemerkenswertes passiert: Scrum hat uns auf Probleme hingewiesen, die innerhalb unseres Teams oder der Organisation existierten.

Wenn wir also mit Scrum weitermachen wollten, mussten wir unbedingt an die Wurzel des Problems heran. Und das ist das Wunderbare an Scrum. Ganz im Sinne der Transparenz werden Probleme schonungslos aufgedeckt und es ist dann am Unternehmen und am Management diese Themen anzugehen.

Es geht also nicht nur darum, Anpassungen im Sinne von Scrum vorzunehmen – Scrum stößt auch wichtige Anpassungsprozesse im Unternehmen an.

Anpassungsprozesse integrieren


Welche Rolle spielt die Kommunikation und Zusammenarbeit innerhalb der Teams, und wie kann Scrum diese Aspekte verbessern?

Ohne Kommunikation sind Scrum & agiles Arbeiten nichts. Die erste Säule des Empirismus (der Philosophie der Scrum zugrunde liegt) ist Transparenz. Diese erreicht ein Team nur, wenn jedem Mitarbeitenden zu jeder Zeit alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen.

Marketing- und Sprint-Backlogs sind dabei unschätzbar wichtige Ressourcen: Hier sind alle wichtigen Informationen auch für Organisationmitglieder außerhalb des Scrum Teams jederzeit zugänglich sind.

Für mich aber noch wichtiger ist die 1:1-Kommunikation.

Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an ein Entwicklerteam weiterzugeben und innerhalb des Teams zu kommunizieren, ist das persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

Und genau dieses Prinzip des agilen Manifests setzt Scrum in für mich perfekter Art und Weise um, indem es dem Team sogenannte Events vorgibt, um Informationen auszutauschen.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Scrum funktioniert?

Meiner Meinung nach ist die wichtigste Voraussetzung das richtige, und zwar ein agiles Mindset. Das muss mindestens im Scrum-Team selbst und noch besser im gesamten Unternehmen gelebt werden. Agilität bedeutet dabei jedoch nicht einfach schneller und effizienter zu arbeiten, sondern mit Wandel flexibel umgehen zu können.

Dabei spielen auch die Werte, die der Scrum Guide vorgibt, eine herausragende Rolle: Mut, Fokus, Selbstverpflichtung, Respekt und Offenheit. Sich durch Wandel und Unsicherheit nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und sich immer wieder auf Änderungen einzulassen, erfordert ungeheuren Mut.

Fokus: Es ist kein Geheimnis. Multitasking funktioniert nicht. Sich auf eine oder wenige Aufgaben zu fokussieren, ist ein Geheimnis erfolgreicher Teams. Auch hier kommt aber wieder der Mut ins Spiel. Auch einmal Nein zu sagen und die Richtung beizubehalten, wenn zum Beispiel die Geschäftsführung mal wieder etwas schnell zwischendurch umsetzen möchte.

Für mich jedoch der wichtigste Aspekt ist Offenheit: Diese trägt ganz wesentlich zur Transparenz bei, die die Grundlage ist für jedes agile Konzept. Alle Mitglieder des Teams erklären sich dabei bereit, ganz offen über Probleme und Herausforderungen zu sprechen, die ihnen bei der Erledigung ihrer Aufgaben begegnen.

Wie kann Scrum Non-IT-Teams dabei helfen, sich an sich ändernde Anforderungen oder Prioritäten anzupassen und flexibel zu bleiben?

Wie schon beschrieben, begrüßt ein agiles Mindset Wandel und Änderungen und plant diese bereits mit ein. Wir arbeiten Aufgaben in kurzen Sprints ab, betrachten die Ergebnisse und nehmen Korrekturen vor.

So reduzieren wir das Risiko, das entsteht, wenn wir einem starren Plan folgen an dessen Ende wir feststellen müssen, dass die Richtung falsch war. Dabei wird zum Beispiel in Reviews regelmäßig und in kurzen Abständen Feedback eingeholt – sei es von Kundenseite oder anderen externen Stakeholdern.

Scrum erhöht somit die Geschwindigkeit der Management-Prozesse. Das heißt nicht unbedingt, dass sich dadurch auch die Produktionsgeschwindigkeit erhöht. Geschwindigkeit ist nicht Agilität. Agilität bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr eine ausbalancierte Antwort geben zu können, sobald unerwartete Dinge passieren.

Ein Beispiel: Erreicht das Team eine dringende Anforderung aus der Geschäftsführung, lässt es nun nicht mehr alles stehen und liegen oder quetscht die Aufgabe noch irgendwo dazwischen. Das Team selbst diskutiert die neue Aufgabe, priorisiert diese (kann sie vielleicht noch bis zum nächsten Sprint warten) und justiert gegebenenfalls den Sprint nach, indem es andere Aufgaben zurückstellt.

Wichtig ist, dass das Team als Ganzes diese Entscheidungen trifft und diese Entscheidung nicht von oben herab getroffen wird. Ein solches Vorgehen trägt erheblich zur Stärkung der Selbstorganisation und Eigenverantwortung bei.

Welche bewährten Praktiken oder Werkzeuge können Non-IT-Teams verwenden, um den Fortschritt und die Ergebnisse ihrer Arbeit transparent zu machen, wie es bei Scrum der Fall ist?

Eines der bewährtesten Instrumente des agilen Arbeitens sind die sogenannten Kanban Boards, die als Scrum Boards im Backlog Anwendung finden. Die einfachste Variante mit drei Spalten haben wir wohl alle schon einmal gesehen: ToDo – Doing – Done.

Selbst in dieser einfachsten Variante bietet ein solches Board schon ein hohes Maß an Transparenz für das Team selbst, aber auch für externe Stakeholder. Jeder weiß jederzeit, welche Aufgaben anstehen, an was gearbeitet wird und was bereits fertig gestellt ist. Aber es geht natürlich noch besser.

Elaboriertere Boards geben nicht nur Auskunft über Arbeitsergebnisse, sondern liefern auch Hinweise auf organisatorische Probleme:

An welchen Stellen stockt es ganz besonders?

Behindern Freigabeprozesse den Fortschritt?

SCRUM To Do – Doing – Done

Über unseren Experten

Daniel ist Marketing-Enthusiast und Scrum Master, mit über 16 Jahren Erfahrung im Marketing verschiedenster Branchen.
Derzeit leitet er das Marketing und den Bereich E-Commerce der NE Brockhaus GmbH, die digitale Unterrichtsmedien für Schulen, Bibliotheken und Privatpersonen entwickelt.

Daniel Mainka
(Director Marketing & Communications, Brockhaus)

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